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Katzen als Boten der Hoffnung – Realität und Legende im Venedig der Pest

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ie Vorstellung ist so charmant wie skurril: Im Venedig des 16. Jahrhunderts sollen unter dem Damoklesschwert der Pest, Katzen nicht nur Ratten gejagt, sondern auch als heimliche Kuriere gedient haben. Um während der strengen Quarantäne zwischenmenschliche Kontakte zu vermeiden, befestigte man winzige Schriftrollen mit Botschaften sowie kleine Päckchen oder Säckchen mit Waren und Münzen an Hälsen und Körpern der Vierbeiner. Die geschmeidigen Tiere trippelten über Brücken und huschten durch enge Gassen auf dem Weg zu den Adressaten. Dieser geheime feline Postdienst verband Liebende, Kaufleute und Freunde – die Samtpfoten der Serenissima wurden zu Helden dieser schweren Zeit.

Diese Geschichte beflügelt die Fantasie und berührt das Herz: Katzen als kleine, pelzige Boten, als Symbole einer unsichtbaren Hoffnung. Vielleicht im Auftrag der Dogen, vielleicht als Überbringer von Liebesbriefen oder notwendiger Medizin. Doch je reizvoller die Vorstellung, desto notwendiger der Blick auf die Realität: Denn die Erzählungen um die außergewöhnlichen Kuriere gehören vermutlich doch eher in die Welt der Legenden als in die historischen Archive.

Die Pest und die verzweifelte Suche nach Verbindung

Die Jahre 1575 bis 1577 markierten eine der dunkelsten Epochen der Lagunenstadt: Über 50.000 Menschen, ein Drittel der Bevölkerung, starben an der Pest. Die verschlungenen Gassen Venedigs, sonst erfüllt von Stimmen, Klängen und dem Duft exotischer Waren, wurden gespenstisch still. Totenglocken läuteten unermüdlich und Venedig, die Königin der Meere, verwandelte sich in eine Insel der Angst.

Die Republik reagierte mit Härte und Innovation: Sie gründete das Magistrato alla Sanità, eines der ersten Gesundheitsämter Europas, um Epidemien zu kontrollieren. Mit Argusaugen überwachte man die verordnete Quarantäne, Lazarette wie auf der Insel Lazzaretto Vecchio dienten der Isolation der Infizierten. Selbst Briefe mussten desinfiziert, „parfümiert“ oder mittels Rauch oder Essig sterilisiert werden, bevor sie den Empfänger erreichten und meist mittels Stäbchen berührungsfrei ausgehändigt wurden.

Doch die Menschen sehnten sich trotz der Angst vor Ansteckung nach Nähe, nach Austausch und Zeichen des Lebens. Und so entstand wohl jene romantische Legende, die sich im Volksmund bis heute hartnäckig hält: die von Katzen, die in ihrer Funktion als Boten das Verbot menschlicher Berührung überlisteten.

Was die Historie dazu sagt

Die Geschichte von den Katzenboten im Venedig der Pest ist aus mehreren Gründen und auch von einem logischen Standpunkt her schwer zu verifizieren. Die Überwacher der strengen Quarantänevorschriften, die im Dienste des  venezianischen Gesundheitsamtes standen, hätten früher oder später die heimlichen Boten entdeckt und deren menschliche Auftraggeber aufs Strengste bestraft.

Hinzu kommt, dass in keinem einzigen zeitgenössischen Dokument, keiner städtischen Chronik und keinem Ratsprotokoll erwähnt wird, dass Katzen während dieser Zeit als Kommunikationsmedien fungierten. Historiker schließen daraus, dass es sich um eine später entstandene, romantische Erzählung handelt – um eine Legende, die auf wahren Elementen beruht, wie den Kontaktverboten und der Tatsache, dass Katzen in Venedig stets zum Stadtbild gehörten, da sie als Rattenfänger für den Erhalt der Hygiene unentbehrlich waren.

Die wahren Helden von San Marco

Fakt ist, Katzen spielten seit jeher eine fundamentale Rolle im Überleben der Stadt. Als globales Handelszentrum importierte Venedig nicht nur Gewürze und Seide, sondern auch Katzen – und das gezielt und in großer Zahl. Vor allem elegante, langbeinige Tiere aus dem Nahen Osten und Dalmatien, die sogenannten „Sorianer“, die als erstklassige Mäusejäger galten, erfreuten sich besonderer Beliebtheit.

Ihr Auftrag war klar: die Rattenpopulation zu dezimieren. Ratten waren nicht nur gefräßige Schädlinge, sondern auch Träger jener Flöhe, die die Pest übertrugen. Katzen waren so wertvoll, dass sie gehandelt und sogar versteigert wurden. Auch auf den Schiffen sorgten ganze Katzen-Besatzungen dafür, dass wertvolle Fracht rattenfrei blieb. Die Venezianer erkannten früh den Nutzen dieser Tiere – im Gegensatz zu Regionen, in denen Katzen als „dämonisch“ gebrandmarkt und verfolgt wurden, was dort sowohl die Pest als auch die Situation in den Vorratskammern verschlimmerte. Für Venedig waren Katzen niemals Boten der Hölle, sondern wertvolle Helfer und stille Retter. Möglicherweise hielt sich die Legende von den Katzenkurieren auch deshalb so beharrlich.

Die Praxis: Ein schöner Traum mit Katzenlogik

Aber was, wenn doch mehr als ein Körnchen Wahrheit in der Geschichte steckt, und die Venezianer tatsächlich versuchten, Katzen als Kuriere einzusetzen? Der Erfolg des Unterfangens wäre wohl dennoch nicht sehr wahrscheinlich gewesen. Wie jeder Katzenfreund weiß, sind Katzen keine Hunde. Sie folgen keinem Herrchen, sondern ihren eigenen Launen. Eine Samtpfote, die für eine Nachrichtensendung bestimmt war, hätte vermutlich lieber ein sonniges Plätzchen auf den Dächern gesucht, als sich brav zum Empfänger zu begeben.

Doch auch um solche, jedem Katzenhalter leicht imaginierbare Szenarien ranken sich volkslegendenartige Anekdoten: Sie erzählen von Katzen, die mit Botschaften verschwanden oder ihre „Sendung“ mitsamt Halsband verloren. Manche sollen zurückgekehrt sein – allerdings ohne Paket, dafür mit einer Maus im Maul. Ob wahr oder erfunden, die Geschichten zollen dem Eigensinn der Tiere ein realistisches Tribut und zeugen gleichzeitig auch von der menschlichen Hoffnung, diesen zu überlisten. Tatsächlich gab es in der jüngeren Geschichte den faktischen Versuch, Katzen als „Boten“ zu benutzen: Das CIA-Projekt „Acoustic Kitty“, das sich während des Kalten Krieges der Herausforderung stellte, mit Antennen ausgestattete Katzen als Spione einzusetzen. Dieses absurde Geheimdienst-Experiment scheiterte wenig überraschend an der Unzuverlässigkeit der Katzen. Die Idee von den Katzen-Postboten Venedigs nimmt sich im Vergleich dazu geradezu glaubwürdig aus.

Warum die Geschichte dennoch berührt

Ob wahr oder erfunden – die Legende verrät etwas über die Menschen jener Zeit. Sie lebten in einer Stadt, in der Nähe mit Gefahr assoziiert wurde, in der Berührungen tabu waren und man befürchtete, dass selbst ein Zettel voller Zuneigung den Tod bringen konnte. Die Vorstellung, dass eine Katze – leise, geschmeidig und unbestechlich – die Brücke zwischen Liebenden oder Freunden schlägt, hat etwas Tröstliches und Herzerwärmendes.

Vielleicht versuchten es einzelne Venezianer tatsächlich – aus Hoffnung oder Verzweiflung. Vielleicht ist es nur ein aus Sehnsucht und Vergangenheitsverklärung geborenes Märchen. So oder so, die Geschichte der venezianischen Katzenboten bleibt ein Zeugnis dessen, wie sich die menschliche Fantasie in Notsituationen ungeahnte Bahnen bricht. Und sie ist eine Parabel dafür, dass wir selbst in dunkelsten Zeiten nach Wegen suchen, verbunden zu bleiben. Katzen, die in der Lagunenstadt wegen ihrer wertvollen Eigenschaft als Rattenjäger seit jeher den Status „rettender Engel“ innehatten (und zum Teil immer noch haben) sind – ob Fiktion oder Realität – die perfekten Protagonisten für legendenhafte Geschichten wie diese.

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