
atzenbesitzer stellen sich die Beziehung zu ihrer Katze gerne als exklusives Bündnis vor – als leise, innige Symbiose zwischen Dosenöffner und schnurrender Diva. Doch wer einer Freigängerkatze ein Heim bietet, sollte sich über eines im Klaren sein: Treue gehört nicht zum Verhaltensrepertoire dieser Tiere. Katzen sind charmante Opportunisten – und sie gehen fremd. Heimlich, mit System und nicht selten mit Erfolg.
Treulose Freigänger
Katzen haben keine Herrchen oder Frauchen – sie haben Personal. Und wer glaubt, seine Katze sei ein anhängliches Einzelkind, liegt mitunter weit daneben. In Wahrheit führen viele Freigängerkatzen ein Doppelleben, manchmal sogar ein Dritt- oder Viertleben. Das Phänomen ist in Tierarztpraxen längst bekannt: Eine gut genährte Katze wird verletzt eingeliefert, trägt aber weder Chip noch Adresse – und doch melden sich auf einmal drei verschiedene „Besitzer“, die alle Stein und Bein schwören, es sei ihre Minka, Schnurrli oder Feli.
Der notorische Fremdgängerinstinkt von Katzen hat sogar die Wissenschaft auf den Plan gerufen. In mehreren Forschungsprojekten wurden Katzen mit GPS-Trackern oder Mini-Kameras ausgestattet, um ihrem geheimen Alltag auf die Spur zu kommen. Das Ergebnis: Die Tiere hatten erstaunlich vielschichtige Sozialnetzwerke und Reviere, die dem Lebensumfeld von Vorort-Menschen aus der Mittelschicht glichen – nur mit wechselnden Schlafplätzen, strategisch verteilten Futterquellen und natürlich mindestens jeweils einer, zu Streicheleinheiten bereiten, Hand.
Big Brother für Katzen
Eine der bekanntesten Studien zu diesem Phänomen stammt aus Großbritannien. Dort initiierte das Royal Veterinary College das Projekt „Cat Tracker“. In Zusammenarbeit mit dem BBC-Dokumentarteam wurden über 50 Katzen in einem kleinen englischen Dorf mit GPS-Geräten und Kamerahalsbändern ausgestattet. Ziel war es dabei herauszufinden, wie weit sich die Miezen von ihrem Zuhause entfernen, was sie unterwegs so alles treiben – und bei wem sie sonst noch einkehren.
Die Ergebnisse waren spektakulär. Einige Katzen legten täglich bis zu 3 Kilometer zurück und lebten ein weitschweifendes Leben zwischen gepflegten Gärten, Nachbarsgaragen und fremden Sofas. Besonders auffällig war dabei, dass die Dichte an „Zweitwohnsitzen“ der Katzen in wohlhabenderen Vierteln höher zu sein schien – was offenbar mit dem kulinarischen Angebot zusammenhing. Eine Katze wurde dabei beobachtet, wie sie täglich zur selben Uhrzeit durch ein offenes Küchenfenster stieg, ein Scheibchen Putenbrust vom Tisch naschte und danach seelenruhig auf dem Gästesessel ein Schläfchen hielt.
Von Monogamie keine Spur
Auch in Deutschland gab es ähnliche Projekte. In Rheinland-Pfalz stattete ein Forscherteam des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie 60 Katzen aus ländlichen Gebieten mit GPS-Sendern aus. Dabei stellte sich heraus, dass sich die Reviere der Katzen zum Teil erheblich überschnitten – und dass viele Tiere sich regelmäßig in mehreren Haushalten aufhielten. Die Wissenschaft spricht hier von „sozialer Vielvernetzung“. Der Volksmund nennt es „Fremdgehen“.
Besonders faszinierend war, dass die Katzen oft ein erstaunlich gutes Gespür dafür zeigten, wie viel Zuwendung die jeweiligen Menschen brauchten – und welchen Aufwand diese bereit waren für die Katze in Kauf zu nehmen. Bei allem psychologischen Einfühlungsvermögen stand freilich der persönliche Nutzen für die Katzen stets im Vordergrund: Während sich beispielsweise eine Familie wochenlang mit einem Designer-Kratzbaum um die Gunst ihrer Samtpfote bemühte, bevorzugte diese die Nachbarin, die zwar keine Spielzeuge anbot, dafür aber regelmäßig Thunfisch servierte. Manchmal ist Liebe eben ganz einfach und bei Katzen geht sie häufig durch den Magen.
Ein Plädoyer für die Katzen-Affäre
Geben diese Erkenntnisse nun Anlass zur Eifersucht? Vielleicht. Oder auch nicht, wenn man bereit ist, die Perspektive ein wenig zu ändern. Denn was uns als Verrat erscheint, ist in Wahrheit Ausdruck katzentypisch höchster Individualität. Katzen sind keine Hunde. Sie verpflichten sich nicht. Sie entscheiden sich jeden Tag aufs Neue, wem sie ihre Zuneigung und Zeit gewähren – und das mit entwaffnender Selbstverständlichkeit.
Vielleicht liegt genau darin auch der für Katzenliebhaber so besondere Reiz: In einer Zeit, in der Treue inflationär und Beziehungen oft brüchig sind, erinnern uns Katzen daran, dass Nähe immer freiwillig ist. Sie bleiben, wenn sie wollen – und gehen eben auch, wenn es ihnen gefällt. Und ja, manchmal schlafen sie auch woanders. Kann man es ihnen übelnehmen? Sie sind halt Katzen.
Wenn Deine Mieze also abends müde, satt und zufrieden nach Hause kommt, während Du Dich fragst, warum das Futter kaum angerührt wurde, hatte Deine Katze vielleicht einfach einen netten Abend bei Familie Gruber zwei Straßen weiter. Mit Leckerlis, gestreicheltem Bäuchlein und kurzweiligen Spieleinheiten. Und morgen? Da liebt sie wieder Dich. Wahrscheinlich.