Katzen in der Manege: Von Zirkusmiezen und samtpfötigen Show-Stars

atzen, die auf Kommando vor Publikum Kunststücke vollführen – das klingt wie ein Paradoxon, denn wir kennen unsere schnurrenden Freunde gewöhnlich als Individualisten mit ausgeprägtem Eigensinn und nicht als Befehlsempfänger. Während Hunde freudig apportieren, Sitz machen, Pfote geben und auf den Hinterbeinen stehen, reagieren Katzen auf solche Anfragen gewöhnlich mit einem Blick, der aristokratische Überlegenheit und milden Spott in sich vereint. Und doch gibt es sie, die Ausnahmekatzen, die nicht nur auf Zuruf sitzen bleiben, sondern coram publico ganze Zirkusnummern aufführen oder im Internet Millionen von Followern mit ihrem akrobatischen Talent begeistern. Sie widerlegen das Klischee von der nicht trainierbaren Katze. Denn mit Geduld, erlesenen Leckerlis und einer gehörigen Portion Katzenpsychologie ist es tatsächlich möglich, Katzen zu artistischen Performances zu animieren.
Der Pionier des Katzentrainings: George Techow und seine „Performing Cats“
Lange bevor Katzen mit kleinen Kunststücken auf Instagram, YouTube und TikTok viral gingen, sorgte im 19. Jahrhundert ein deutscher Dressur-Künstler für Furore: George Techow. Mit seinen speziell trainierten Katzen, den „Techow´s Performing Cats“ oder auch „Techow´s Educated Cats“ trat er in Zirkussen, auf Jahrmärkten und Varieté –Bühnen in ganz Europa auf und – mit zunehmendem Erfolg– auch auf dem Broadway. Das zeitgenössische Publikum war entzückt und begeistert, seine Shows galten als Sensation, da Zirkus-Katzen zu dieser Zeit eine außerordentliche Rarität waren. Techow wählte für seine feline Showtruppe bewusst Straßenkatzen mit „abenteuerlicher Vergangenheit“, denn er wusste, dass diese aufgrund des anspruchsvollen Lebens als Streuner eine schnellere Auffassungsgabe und Lernfähigkeit haben, da sie sich auf der Straße selbst allerlei überlebensnotwendige Tricks beibringen müssen:
„A vagrant cat is the easiest to teach, the quickest to learn… the stray, half‑starved cat … has his perceptive faculties quickened and his brain‑cells enlarged.“ – George Techow
„Eine streunende Katze lässt sich am leichtesten unterrichten, lernt am schnellsten … die herrenlose, halb verhungerte Katze … hat geschärfte Wahrnehmungsfähigkeiten und vergrößerte Gehirnzellen.“ – George Techow
Die Dressur war dennoch äußerst zeit- und arbeitsintensiv. Jede Katze wurde teilweise über drei Jahre lang trainiert, bevor sie auf die Bühne durfte – ein Aufwand, den Techow laut eigener Aussage mit einem Hund in einem Bruchteil der Zeit erreichte: „I can train 12 dogs … in the same time it takes to train one cat …“ („Ich kann zwölf Hunde trainieren … in der gleichen Zeit, die es braucht, um eine einzige Katze zu trainieren …“). Trotz des mühevollen Trainings war Strafe tabu – Techow verzichtete bewusst auf Gewalt, er wusste, dass man damit bei Katzen nicht das Geringste erreicht und damit lediglich das zu ihnen aufgebaute Vertrauen zerstört:
„Fear and punishment do not work with cats … a cat never forgets a blow, nor licks the boot that has kicked him.“ – George Techow
„Angst und Strafe funktionieren nicht bei Katzen … eine Katze vergisst keinen Schlag – und sie leckt nie den Stiefel, der sie getreten hat.“ – George Techow
Techows Katzen-Nummern reichten vom Seiltanz über Reifen-Sprünge bis hin zum Nachziehen von Mini-Kutschen. Auch wenn die Katzen gelegentlich, wie Techow es nannte, „moderate reluctance“ (leichten Widerwillen) zeigten, überzeugten sie auf der Bühne durch konsequentes Auftreten – ein Ergebnis seiner einfühlsamen, katzengerechten Trainingsmethode, die noch heute Grundlage moderner Katzendressur ist. Obwohl es keine vollständig dokumentierte Trainingsanleitung von Techow selbst gibt, lassen sich aus historischen Quellen wie Zeitungsberichten, Interviews und Zirkusprogrammen einige seiner Methoden rekonstruieren:
- Positive Verstärkung (Belohnungstraining): Techow arbeitete hauptsächlich mit Leckerlis und Streicheleinheiten, um gewünschtes Verhalten zu verstärken. Katzen, die einen Trick erfolgreich ausführten, bekamen sofort eine kleine Belohnung. Diese Technik ist eine klassische Form der operanten Konditionierung, bei der das Tier lernt, dass ein bestimmtes Verhalten eine positive Konsequenz hat.
- Geduld und Wiederholung: Techow betonte, dass Katzen langsam lernen und man „niemals Gewalt oder Zwang“ anwenden dürfe. Stattdessen arbeitete er mit sehr viel Geduld, indem er Übungen in viele kleine Schritte aufteilte und diese wiederholte, bis die Katze sie verinnerlicht hatte.
- Individuelle Ansprache: Techow erkannte, dass Katzen starke individuelle Persönlichkeiten haben. Er wählte seine „Schüler“ sorgfältig aus und passte das Training an den Charakter und die Vorlieben jeder Katze an – ein Vorläufer dessen, was man heute als „tiergestütztes Individualtraining“ bezeichnet.
- Visuelle und akustische Reize: Techow arbeitete mit Handzeichen, Gesten und teilweise akustischen Signalen wie Klickgeräuschen oder bestimmten Lauten, um den Katzen zu signalisieren, wann ein Trick beginnen sollte. Das heutige Clickertraining knüpft hier an.
George Techow war ein erstaunlich fortschrittlicher Pionier des Katzentrainings. Bereits vor über 100 Jahren nutzte er Methoden, die heute als wissenschaftlich fundiert und tierfreundlich gelten. Seine Arbeit trug wesentlich dazu bei, das Image der Katze als „untrainierbar“ nachhaltig zu verändern und eine solide Basis für heutige Katzentrainer zu schaffen.
Zirkuskatzen heute – Samantha Martins „Amazing Acro-Cats“
Die gegenwärtig vielleicht bekannteste sowie ungewöhnlichste Katzen-Performance-Truppe der Welt ist Samantha Martins „The Amazing Acro-Cats“ aus den USA. Die Tiertrainerin und Tierschützerin Samantha Martin tourt mit ihren Zirkus-Katzen durch das ganze Land. Die Truppe besteht aus rund einem Dutzend geretteter Straßenkatzen beziehungsweise Katzen aus „Kill-Shelters“, die durch ihre Kunststücke, die sie im Rahmen einer unterhaltsamen Bühnenshow aufführen, auch über die USA hinaus zu Berühmtheit gelangten. Manche von Martins Katzen treten regelmäßig auf, andere befinden sich „in Ausbildung“ oder werden nach erfolgreichem Training vermittelt – denn die Katzentrainerin ist auch aktive Tierrettungshelferin. Die „Amazing Acro-Cats“ führen eine Vielzahl origineller Tricks vor, die sie ihren Zuschauern jedoch stets mit einem Augenzwinkern präsentieren, denn die Katzen sind dafür bekannt, ihre Kunststücke nicht immer perfekt auszuführen. Martin arbeitet wie schon Techow ohne Zwang: Wenn eine Katze – auch während der Show – keine Lust mehr hat, wird das akzeptiert. Und gerade diese authentische Unvollkommenheit lieben die Fans. Martins Katzen springen durch Reifen oder über Hindernisse, balancieren auf Bällen oder schmalen Balken, fahren Skateboard, bringen Fahrradglocken zum Klingeln, betätigen Tasten, Hebel und Knöpfe, fahren kleine Autos und meistern komplexe Agility-Parcours. Der Höhepunkt jeder Vorstellung der „Acro-Cats“ ist jedoch ihr Live-Auftritt als „The Rock-Cats“ mit eigener Rockband: Es gibt Katzen am Schlagzeug, an der E-Gitarre und am Keyboard – und sogar ein artfremdes Bandmitglied, eine Henne, die als Tamburin-Spielerin fungiert. Mit dieser einzigartigen Mischung aus außergewöhnlichen Zirkusnummern, musikalischen Einlagen und charmantem Chaos sind Samantha Martins Zirkuskatzen zu einer eigenen Marke geworden, deren Shows als Videomitschnitte auch auf YouTube und anderen sozialen Medien mit Begeisterung geteilt werden.
Vom Sofa aufs Skateboard: Influencer-Katzen erobern das Internet
Mit dem Aufkommen der sozialen Medien hat sich die Bühne für talentierte Katzen vom Zirkuszelt ins Wohnzimmer verlagert. Influencer-Katzen sind die neuen Stars, und ihre Kunststücke gehen viral. Sie beweisen, dass man keine Manege braucht, um ein Publikum zu begeistern – ein Smartphone und eine Internetverbindung genügen. Eine der bekanntesten Trick-Influencer-Katzen, die bereits seit den frühen 2010er Jahren für Aufsehen sorgt, ist Didga (von Didgeridoo), eine australische Katze, die von ihrem Besitzer Robert Dollwet trainiert wurde. Dollwet, der ursprünglich als Hundetrainer arbeitete und sich auch einen Namen als Trainer von Promi-Hunden machte, entdeckte mit der Adoption der süßen Samtpfote nicht nur seine Liebe zu Katzen, sondern auch deren artistisches Potential. Gut möglich, dass die Idee des Katzentrainings auch seinen Ehrgeiz anspornte und in ihm den Wunsch entstehen ließ, neben dem Hundetraining auch die Königsdisziplin des Tiertrainings, das Katzentraining zu beherrschen. Mit viel Liebe, Geduld und kleinteiligem, jahrelangen Training brachte er Digda Tricks bei, die man bisher noch keine Katze ausführen sah: Didga ist vor allem berühmt für ihre erstaunlichen Skateboard-Fähigkeiten. Sie fährt nicht nur auf dem Brett, sondern springt auch über Hindernisse, fährt Rampen hinunter und weicht auf ihren Skateboard-Fahrten aktiv Hindernissen aus. Es gibt Videos, in denen Didga scheinbar mühelos durch Parks skatet, als wäre es das Selbstverständlichste für eine Katze. Doch auch für den Wassersport konnte Dollwet seine feline Schülerin begeistern: Sie surft, begleitet Dollwet auf dem Paddelboot und schwimmt auch ohne Aufhebens eine Runde im Pool oder Meer. Nebenbei beherrscht sie auch eine Vielzahl von Agility-Tricks: Sie springt durch Reifen, balanciert auf Balken und Stangen, sitzt auf der Handfläche ihres Trainers und macht auf Kommando eine Rolle seitwärts. Die zahlreichen Videos von Digda sind ein Beweis dafür, dass Katzen mit der richtigen Motivation zu erstaunlichen Leistungen fähig sind. Dollwet, der nach wie vor Hunde trainiert, lässt Digda auch gemeinsam mit ihren Hundefreunden Kunststücke vorführen, was beweist, dass Katzen und Hunde sehr wohl Freunde sein können – zumindest wenn Leckerlis, Spaß und Streicheleinheiten im Spiel sind. Robert Dollwet ist Experte im Clickertraining und gibt in seinen YouTube-Videos auch praktische Tipps zur Ausführung dieser Methode für Katzenhalter, die ihre Miezen selbst trainieren wollen.
Die Magie des Katzentrainings und die besondere Bindung
Katzentraining ist weit mehr als eine Reihe von Tricks oder Kunststücken – es ist ein stilles Gespräch zwischen zwei Wesen, das auf Respekt, Geduld und Vertrauen beruht. Während Hunde schon lange als gut trainierbare Begleiter gelten, fasziniert die eigenwillige Katze durch ihre feinsinnige Intelligenz und ihre emotionale Tiefe. Doch wer glaubt, Katzen ließen sich nicht erziehen, hat vielleicht einfach noch nie die richtige Sprache mit ihnen gesprochen. Psychologisch betrachtet reagieren Katzen besonders auf positive Verstärkung und sanfte, wiederkehrende Rituale. Ihre Lernfähigkeit basiert nicht auf blinder Gefolgschaft, sondern auf freiwilliger Kooperation. Das macht jedes Training mit ihnen zu einem achtsamen Akt. Sie müssen nicht – sie wollen. Und genau darin liegt die Magie: Eine Katze schenkt ihre Mitarbeit, wenn sie sich sicher fühlt, wenn sie sich verstanden weiß – und wenn die Bindung zu ihrem Menschen tragfähig ist. Diese Bindung wächst nicht durch Dominanz, sondern durch gegenseitigen Respekt. Studien zeigen, dass Katzen feinfühlig auf die Stimmung und Körpersprache ihrer Bezugspersonen reagieren. Sie erkennen Gesichter, erinnern sich an Stimmen, unterscheiden zwischen vertrauten und fremden Menschen. Wenn eine Katze beschließt, mit ihrem Menschen ein Kunststück zu üben oder gemeinsam eine Routine aufzubauen, ist das Ausdruck tiefen Vertrauens. Beim idealen Katzentraining – sei es in der Manege, auf Social Media oder im heimischen Wohnzimmer – entsteht eine stille Verbindung jenseits von Worten. Der Moment, in dem eine Katze freiwillig auf ein Zeichen reagiert, ist kein Akt der Unterwerfung, sondern ein kleines Wunder des gegenseitigen Verständnisses. Trainer wie Samantha Martin, Robert Dollwet oder der seiner Zeit weit voraus gewesene George Techow, die mit Geduld und Feingefühl arbeiten, zeigen: Katzen sind nicht untrainierbar, sie sind individuell. Und genau das macht ihre Förderung zu einer Kunst.
Am Ende steht also nicht die perfekte Kür, sondern die Beziehung, die sich durch gemeinsames Lernen vertieft. Jede gelungene Übung ist ein Beweis dafür, dass Vertrauen zwischen Katze und Mensch durch Geduld, Liebe und Einfühlung wachsen kann. So wird das Katzentraining zur leisen, berührenden Form der Freundschaft – und vielleicht sogar zur heilsamen Erfahrung für beide Seiten.
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