Katzen in Japan – Zwischen Mystik, Glaube und Popkultur

atzen nehmen in der japanischen Kultur seit Jahrhunderten eine besondere Stellung ein. Anders als in vielen westlichen Kulturen, in denen Katzen im Laufe der Geschichte immer wieder mit Aberglauben oder gar Unglück assoziiert wurden, gelten sie in Japan seit jeher als Glücksbringer, spirituelle Wesen und mittlerweile sogar als Popkultur-Ikonen. Die Verehrung von Katzen zieht sich wie ein roter Faden durch Japans Geschichte – von alten Legenden bis hin zu viralen Internetphänomenen.
Volksglaube und Mystik – Katzen als übernatürliche Wesen
Im japanischen Volksglauben sind Katzen tief mit dem Übernatürlichen verwoben. Besonders bekannt ist die Figur der Bakeneko (化け猫) – einer mystischen Katzenart, die übernatürliche Kräfte entwickelt, sobald sie ein gewisses Alter oder eine bestimmte Größe erreicht. Bakeneko sollen sprechen können, sich in Menschen verwandeln und sogar imstande sein, die Toten zu erwecken. Trotz dieser eher düsteren Assoziationen werden sie nicht grundsätzlich negativ gesehen, sondern als respektgebietende Wesen, die zwischen den Welten wandeln.
Eine weitere mythische Katze ist die Nekomata (猫又), eine Bakeneko mit zwei Schwänzen, die meist als noch mächtiger und mystischer gilt. Es heißt, Nekomata könnten Feuer kontrollieren und ganze Dörfer verfluchen – ein Motiv, das sich besonders in den traditionellen Kabuki-Theaterstücken des 18. und 19. Jahrhunderts wiederfindet. Diese Katzen-Wesen spiegeln das ambivalente Verhältnis der Japaner zur spirituellen Welt wider: eine Mischung aus Ehrfurcht, Neugier und Vorsicht.
Eine populäre Legende erzählt von einer Katze, die ihrem Besitzer das Leben rettete, indem sie ihn mit einer Geste vor einem herabstürzenden Ast warnte. Diese bekannte Geschichte wird oft mit der Maneki-neko in Verbindung gebracht, der glücksbringenden Winke-Katze, die mittlerweile auch weit über Japan hinaus zu großer Beliebtheit gelangt ist.
Katzen im Shintoismus und der japanischen Volkskultur
Auch im Shintoismus, der traditionellen Religion Japans, spielen Katzen eine symbolische Rolle – wenn auch eher indirekt. Tiere gelten dort im Allgemeinen als Boten der Götter (Kami) oder sogar als Verkörperungen dieser selbst. Katzen werden in diesem Kontext oft als Wesen betrachtet, die in der Lage sind, Glück und Wohlstand zu bringen.
Die bereits erwähnte Maneki-neko (招き猫), die winkende Katze, die man in Japan vor vielen Geschäften, Restaurants und Tempeln findet, ist wohl das bekannteste Beispiel hierfür: Mit erhobener Pfote lädt sie symbolisch Glück, Kunden oder Reichtum ein. Es gibt sie in verschiedenen Farben und Posen, jede mit spezifischer Bedeutung – beispielsweise steht eine weiße Maneki-neko für Reinheit, während eine goldene für Wohlstand steht. Der Legende nach soll ein armer Mönch einst einer streunenden Katze Unterschlupf in seinem Tempel gewährt haben. Als ein wohlhabender Herrscher bei einem Gewitter daran vorbeikam, winkte ihm die Katze zu – was ihn dazu brachte, den Tempel zu betreten und rechtzeitig Schutz zu finden. Aus Dankbarkeit ließ der Herrscher den Tempel später renovieren.
Historisch gesehen war die Katze auch im alltäglichen Leben geschätzt und erfüllte dort – ähnliche wie in Europa – vor allem eine pragmatische Rolle. In der Edo-Zeit (1603–1868) wurden Katzen als Rattenfänger in Seidenmanufakturen eingesetzt – dort galten sie als unverzichtbare Beschützer der wertvollen Rohstoffe. Es existieren sogar japanische Farbholzschnitte, sogenannte ukiyo-e (wörtlich: „Bilder der fließenden Welt“), auf denen Katzen stolz mit rotem Halsband auf Tatami-Matten (Reisstroh-Matten, die als Fußboden-Auflagen dienten) sitzen – ein Hinweis auf ihren damaligen Status.
Katzen in der modernen japanischen Popkultur
In der heutigen Zeit haben Katzen in Japan eine nahezu kultartige Popularität erreicht. Besonders auffällig ist ihre Präsenz in der Manga- und Anime-Kultur. Figuren wie Hello Kitty, die 1974 von der Firma Sanrio eingeführt wurde, sind weltweit bekannte Symbole der sogenannten Kawaii-Kultur, die auf Niedlichkeit und Emotionalität basiert. Hello Kitty ist dabei nicht nur Merchandise-Magnet, sondern auch kulturelles Phänomen – sie wurde unter anderem zur Tourismusbotschafterin Japans für China und Hongkong ernannt.
Auch Serien wie „Natsume Yuujinchou“ oder „The Cat Returns“ von Studio Ghibli inszenieren Katzen als weise, oft übernatürliche Begleiter, die Menschen helfen oder Prüfungen auferlegen. Studio Ghiblis Katzenbaron, ein eleganter, sprechender Kater im Anzug, ist heute eine der bekanntesten Katzengestalten Japans.
In unseren Breiten gelangte der japanische Animationsfilm „Um ein Schnurrhaar“ (Originaltitel: „Nakitai Watashi wa Neko wo Kaburu“) aus dem Jahr 2020 zu einiger Bekanntheit, als ihn der Streaming-Dienst Netflix in sein Repertoire aufnahm. Die Geschichte handelt von einem jungen Mädchen, das sich in ihren Mitschüler Kento verliebt. Um ihm näher zu kommen, verwandelt sie sich mithilfe einer magischen Katzen-Maske in die weiße Katze Taro. Auch hier ist das Katzenthema magisch-mystisch beziehungsweise märchenhaft aufgeladen.
Ein faszinierendes Phänomen der gegenwärtigen Katzenverehrung in Japan ist das Auftreten eines Mannes im Katzenkostüm am Bahnhof Tokio, der dort regelmäßig Reisende begrüßt. Diese skurrile, aber liebevolle Performance hat sich zu einem beliebten Social-Media-Thema entwickelt. Der als „Shinjuku Neko no Ojisan“ (Onkel Katze von Shinjuku) bekannte Mann ist Symbol für die Vermenschlichung und gleichzeitige Glorifizierung der Katze in der urbanen Moderne. Seine freundliche, verspielte Erscheinung zieht täglich zahlreiche Passanten an, die Fotos machen oder einfach kurz lächeln. Für den europäischen Geschmack mag der Katzenmann zwar etwas befremdlich wirken, doch vielen Japanern bringt er ein kleines Stück Lebensfreude in ihren hektischen Alltag.
Eine weitere Tokioter Attraktion, die 2021 weltweit durch die Medien ging, ist die gigantische 3D-Katze, die am Cross Shinjuku auf einen riesigen gebogenen LED-4K-Screen projiziert wird. Da sie sich am Ostausgang des Bahnhofs Shinjuku befindet, wurde sie als Shinjuku 3D Callico Cat bekannt. Schaulustige können sie viertelstündlich bewundern und sie beim sich räkeln, strecken, miauen und manchmal auch sprechen bewundern. Ein weiteres Beispiel dafür, wie Katzen als freundliche Maskottchen in Alltag und Tourismus integriert werden.
Katzen als Spiegel der japanischen Kultur
Doch woher kommt diese tief verwurzelte Zuneigung zu Katzen in Japan? Zum einen liegt es an der Verbindung zur Spiritualität und Mystik, die – anders als in westlichen Ländern – in der japanischen Kultur allgegenwärtig ist. Katzen wirken unabhängig, elegant und geheimnisvoll – Eigenschaften, die auch in der Ästhetik des Wabi-Sabi, dem Schönheitsideal des Unvollkommenen und Flüchtigen, Anklang finden.
Zum anderen spiegeln Katzen auch das soziale Bedürfnis der modernen Gesellschaft wider: In einer hochdigitalisierten und oft einsamen Welt bieten sie Trost, Niedlichkeit und eine Form von Kommunikation ohne Worte. Die zahllosen Katzen-Cafés in Japan, in denen Besucher mit Katzen interagieren können, sind eine weitere Erscheinung dieser emotionalen Verbindung. Das erste Café dieser Art wurde 2004 in Osaka eröffnet und hat seither eine Welle von ähnlichen Etablissements in Japan, Europa und den USA ausgelöst.
Dafür, dass die Katzenliebe in Japan von ganz besonderer Art ist, zeugt auch die skurrile Tatsache, dass sie mitunter sogar Beamtenposten bekleiden: In Tokio gab es eine Katzenbahnhofsvorsteherin – die Katze Tama, die einst zum Maskottchen der Kishi-Station in Wakayama wurde. Sie brachte der Bahnlinie durch ihren Ruhm enorme Einnahmen und wurde nach ihrem Tod mit einem eigenen Schrein geehrt. Mittlerweile versieht ihre Nachfolgerin, die dreifärbige Nitama den Dienst.
Katzen sind in Japan weit mehr als nur Haustiere – sie sind Glücksbringer, mystische Wesen, Ikonen der Popkultur und emotionale Ankerpunkte im modernen Leben. Ob in alten Legenden als Bakeneko, in der winkenden Maneki-neko, in Mangas oder als lebende Maskottchen am Bahnhof: Katzen nehmen in Japan eine einzigartige kulturelle Rolle ein. Sie sind ein wunderbares Beispiel dafür, wie tief Tradition, Spiritualität, Ästhetik und Moderne in der japanischen Kultur miteinander verwoben sind.