Schnurren und Schreiben – Die symbiotische Beziehung zwischen Schriftstellern und Katzen

eit Jahrtausenden sind Katzen unabhängige, liebevolle und eigenwillige Begleiter des Menschen – doch bei einem bestimmten Typus Mensch scheinen sie sich ganz besonders wohl zu fühlen und sich auch ihrerseits besonderer Beliebtheit zu erfreuen: bei Schriftstellerinnen und Schriftstellern. Von Patricia Highsmith bis Ernest Hemingway, von Goethe bis Haruki Murakami oder Doris Lessing – viele Literaturschaffende schätzten und schätzen Katzen nicht nur als Haustiere, sondern als inspirierende Seelenverwandte, die zwischen ihren Notizen und Manuskripten sowie in ihren Gedanken umherstreifen. Aber warum ist das so?
Zwischen Stille und Selbstbestimmtheit – Warum Katzen und Schriftsteller so gut harmonieren
Bei Literaten und Katzen gibt es offensichtliche Ähnlichkeiten im Charakter, eine Familiarität, die sie zu idealen Gefährten macht. Schriftsteller sind oft Menschen, die die Stille lieben, introvertiert sind oder sich zumindest regelmäßig aus der realen Welt zurückziehen, um in ihre eigene, fiktive Welt zu reisen. Die Katze, ein Tier, das Nähe sucht, ohne sich aufzudrängen, und das seinen Menschen gerne bei ruhigen Tätigkeiten beobachtet, sich aber ohne Probleme auch jederzeit alleine beschäftigen kann, ist hierfür ein idealer Begleiter.
Katzen sind wie Autoren Wesen, die gerne unabhängig sind. Sie sind eigenwillig, individualistisch und auf ihre Art auch philosophisch. Sie können minutenlang regungslos in einer Pose verharren, eine halbe Ewigkeit die Welt aus dem Fenster beobachten, oder einfach zusammengerollt für Stunden ins Land der Träume abtauchen. Dabei scheinen sie ein Gespür für den richtigen Zeitpunkt zu haben, um aufzuwachen, auf den Tisch zu springen und sich auf ein frisch beschriebenes Blatt zu setzen. Ganz als wollten sie ihrem schreibenden Menschen sagen: „Genug gearbeitet, jetzt mach mal eine Pause und streichle mich.“ Perfekt gegen Schreibblockanden aufgrund von kreativem Burnout!
Auch psychologische Untersuchungen bestätigen, dass kreative Menschen mit hoher Vorstellungskraft – wie es Schriftsteller meist sind – häufig eine Affinität zu Tieren haben, die ihnen einerseits viel Freiraum lassen, aber zugleich auch geheimnisvoll und inspirierend auf sie wirken. Wo Hunde klare Hierarchien und Rituale brauchen, fordern Katzen Aufmerksamkeit mit subtilen Gesten –das entspricht der Sensibilität vieler Literaten.
Hemingway, Highsmith & Co – Literaten mit Katzenseele
Einer der bekanntesten „Katzenväter“ war ohne Zweifel Ernest Hemingway, der in seiner Villa, der in den Hügeln über Havanna angesiedelten Finca Vigía auf Kuba, eine ganze Kolonie von Polydaktylie-Katzen (Katzen mit sechs oder mehr Zehen) beherbergte. Hier schrieb er sein wohl bekanntestes Werk „Der alte Mann und das Meer“ (1951). Seine felinen „Mitbewohner“ wurden liebevoll gepflegt und genossen fast königlichen Status.
Noch heute streifen ihre Nachfahren durch das Hemingway-Haus, das inzwischen zum Museum geworden ist. Ein bekanntes Zitat von Hemingway lautet:
„Ein Mensch braucht zwei Tiere – einen Hund, der ihn vergöttert, und eine Katze, die ihn ignoriert.“
Ernest Hemingway
Auch Patricia Highsmith, die Grande Dame des psychologischen Thrillers, deren Kult-Krimi „Der talentierte Mister Ripley“ (1955) unter anderem mit Alain Delon in der Hauptrolle verfilmt wurde, lebte mit mehreren Katzen zusammen. Doch nicht nur das, sie führte Gespräche mit ihnen, schrieb über sie und nannte sie ihre „kleinen Spiegel“.
Ihre Beziehung zu den Tieren war so tief, dass sie in Interviews oft mehr über ihre Katzen sprach, als über ihre literarischen Figuren. Bei einer ihrer Lesungen soll sie Folgendes gesagt haben:
„Wenn ich nicht schreibe, streichle ich meine Katze. Wenn ich schreibe, sitzt sie auf meiner Schulter.“
Patricia Highsmith
Um das Dichtergenie Johann Wolfgang von Goethe ranken sich bezüglich Katzenaffinität etliche Anekdoten, die zwar möglicherweise reine Legenden sind, dennoch einigen Unterhaltungswert haben. So soll einst seine Geliebte Charlotte von Stein auf seine beiden Kater aufgepasst haben, als er in Rom verweilte. Doch Steins Fürsorge ließ zu wünschen übrig, denn als der Dichterfürst von der Reise zurückkehrte, musste er feststellen, dass seine Lieblinge Zutritt zum Weinkeller hatten – von dort kamen sie ihm auf wackeligen Beinen entgegen. „Was seh‘ ich?“, soll er bei diesem Anblick entsetzt ausgerufen haben: „Zwei schwankende Gestalten!“. In seiner Neuadaption des historischen Epos „Reineke Fuchs“ gab Goethe einem Kater eine tragende Rolle: Kater „Hinze“ ist eine der Hauptfiguren, die sich am Hof des Königs über die Untaten des Fuchses Reineke beklagen. Goethe wird auch folgendes Zitat über Katzen zugeschrieben:
„Die Katzen gehören nicht uns – wir gehören ihnen.“
J. W. v. Goethe
Die Katzenliebe des amerikanischen Lyrikers und Dramatikers T.S. Eliot ist hingegen biographisch fest überliefert. In den 1930er Jahren führte er Briefkorrespondenz mit seinen Patenkindern. Unter dem Spitznamen „Old Possum“ schrieb er den Kindern Gedichte, die unter anderem auch von (seinen) Katzen handelten. In einem Brief aus dem Jahr 1931 beschrieb und zeichnete er seine Katze „Jellylorum“ und schrieb über eine andere namens „Cus Cus“. Der sonst eher für seine ernsten Werke bekannte Dichter widmete Katzen ein ganzes Buch: „Old Possum’s Book of Practical Cats“, eine Sammlung von Gedichten über die Eigenheiten verschiedener Katzencharaktere. Hierin offenbart er eine ungewohnt charmante, verspielte Seite sowie seine tiefe Zuneigung zu den Tieren, die sich auch in seinem detaillierten Wissen über deren Wesen spiegelt. Dieses Werk inspirierte später Andrew Lloyd Webbers Musical „Cats“ und ist bis heute ein einzigartiges Beispiel für humorvolle und zugleich einfühlsame Literatur über Katzen. Von Eliot stammt der prägnante Satz:
„A cat is not a dog!
T. S. Eliot

Katzen als literarische Figuren – Wenn die Katze selbst im Roman auftritt
Wie an den Beispielen T. S. Eliots und Goethes ersichtlich, machten viele Katzen liebende Schriftsteller Samtpfoten zu literarischen Figuren ihrer Werke. Neben Eliots „Practical Cats“ und Goethes Kater Hinze in „Reineke Fuchs“ gibt es eine ganze Reihe bedeutender Werke, in denen Katzen nicht nur mitlaufen, sondern selbst denken, philosophieren, erzählen und die Handlung einer Geschichte vorantreiben. Ein Klassiker ist zweifellos E.T.A. Hoffmanns „Lebensansichten des Katers Murr“ (1819/21), ein Roman, der zugleich satirisch, tiefgründig und formal experimentell ist. Erzählt wird aus der Perspektive eines hochgebildeten, selbstgefälligen Katers, der seine Autobiografie verfasst – und dabei aus Versehen ein anderes Manuskript, das Leben des Komponisten Kreisler, mit hineingebunden gebunden hat. Diese absichtliche Verwirrung macht das Werk zu einer Frühform des postmodernen Romans. Kater Murr ist klug, selbstironisch, eitel und spiegelt auf humorvolle Weise die Gelehrten- und Künstlerwelt seiner Zeit wider. So verlautbart er beispielsweise selbstbewusst:
„Ich bin ein Kater von Geist und Herz, wie wenige unter den Menschen es sind.“
Kater Murr, Kapitel 1
Ein weiteres (zeitgenössisches) Beispiel, in dem eine Katze als literarische Protagonistin auftritt, ist der Roman „Kafka am Strand“ (2002) des japanischen Autors Haruki Murakami: In ihm erscheint eine sprechende Katze namens Oshima – typisch für Murakamis surreale Erzählweise. In seinem Werk sind Katzen – entsprechend dem japanischen Shintoismus und Volksglauben – oft Mittler zwischen den Welten, stille Beobachter und magische Wesen. Murakami selbst lebt mit mehreren Katzen und nennt sie „mentale Anker“ beim Schreiben.
Die britische Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin Doris Lessing war bekannt für ihre Liebe zu Katzen. In ihrem autobiografischem Werk „Particularly Cats“ (1967) schildert sie das Zusammenleben mit Katzen so detailliert und einfühlsam, dass die Tiere sich dem Leser als komplexe Individuen erschließen. Lessing, die seit ihrer Kindheit auf einer Farm in Afrika mit Katzen lebte, bewunderte an ihnen ihre geheimnisvolle Tiefgründigkeit. Sie schreibt:
„Katzen sind unerbittliche Beobachter. Wer mit ihnen lebt, hat keine Chance zur Selbsttäuschung.“
Doris Lessing
In ihrem Katzenbuch, das auf Deutsch auch in Auszügen unter „Meine Katzen“ erschienen ist, beschreibt Lessing ihre innige Beziehung zu den Katzen, die während ihres Lebens ihre Gefährten waren. Mit großer Empathie und Beobachtungsgabe beleuchtet sie sowohl das Sozialverhalten der Tiere untereinander als auch die Beziehung zwischen Katze und Mensch. Ihre persönlichen Erlebnisse bettet sie in berührende philosophische Erkenntnisse über die Einzigartigkeit und Kostbarkeit des kätzischen wie menschlichen Lebens.
Der österreichische Schriftsteller Michael Köhlmeier, der in Interviews mehrfach offen über seine Zuneigung zu Katzen sprach und seine Beziehung zu ihnen als Form der „respektvollen Distanz“ beschrieb, widmete ebenfalls einer Katze die Rolle einer Hauptfigur. Sein Roman „Matou“ (2021), benannt nach dem Protagonisten, einem Kater, führt den Leser von der Zeit der französischen Revolution bis in die Gegenwart. Matou erzählt aus der Ich-Perspektive, wie er im Laufe seiner sieben Leben quer durch die Geschichte allerhand Erfahrungen und Einsichten gewann und auch historischen Persönlichkeiten wie E. T. A. Hoffmann und Andy Warhol (beide waren Katzenliebhaber) begegnete. Die Rezensionen lobten Köhlmeiers Roman als „Katzenweltepos“ und als „Liebeserklärung an Mensch und Tier“.
Exkurs: Die Katze als literarische Metapher und poetisches Symbol
Die Katze ist in der Literatur oft nicht nur ein Tier, sie ist ein Zeichen. Ein vielschichtiges, schillerndes, oft doppeldeutiges Symbol, das je nach Autor, Epoche und Kultur eine Vielzahl von Bedeutungen annehmen kann. Vielleicht liegt genau darin ihre literarische Anziehungskraft: Sie entzieht sich einer eindeutigen Lesart.
Rätsel, Schatten, Spiegel
Katzen erscheinen oft als Sinnbild des Geheimnisvollen. Ihre nächtliche Aktivität, ihre scheinbar emotionslose Distanz, ihre lautlosen Bewegungen und ihr unverwandter Blick machen sie in vielen Kulturen zu Wesen „zwischen den Welten“. In der Literatur dienen sie häufig als Metaphern für das Unbewusste, das Verdrängte oder das Rätselhafte – Themen, die viele Schriftsteller in ihren Werken aufnehmen. Im Symbolismus und Surrealismus etwa wird die Katze immer wieder mit dem Traumhaften oder dem Weiblichen verknüpft. Charles Baudelaire schrieb in seinem Gedicht Les Chats („Die Katzen“):
Der geheimnisvolle Blick der Katze / ist tief wie die Nacht – / er verspricht, aber verrät nichts.
Charles Baudelaire
Katzen verkörpern also nicht nur Schönheit, sondern auch das, was sich der Logik entzieht – ein Thema, das in Poesie und Prosa immer wieder gesucht und zum Ausdruck gebracht wird.
Doppelwesen und Verwandlungskünstler
In Märchen und fantastischer Literatur erscheinen Katzen häufig als Verwandler, Trickspieler und Mittler zwischen Welten – ob als gestiefelter Kater bei den Gebrüdern Grimm, als Grinsekatze in Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“ oder als Märchenfiguren, die sich in Katzen verwandeln (und umgekehrt). Sie verkörpern eine Ambiguität, die Autoren besonders fasziniert: weder ganz zahm noch wild, weder ganz dies- noch ganz jenseitig.

Ein bekanntes literarisch anspruchsvolles Beispiel für diese Thematik ist Michail Bulgakows Roman „Der Meister und Margarita“ (1928). In ihm spielt ein Kater namens Behemoth eine zentrale Rolle. Behemoth ist ein menschlich anmutender, riesiger schwarzer Kater, der auf zwei Beinen geht, Schach spielt und Wodka trinkt.
Als groteske, humorvolle und unberechenbare Figur ist er imstande, sich in einen jungen Mann und wieder zurück in einen Kater zu verwandeln. Die Katzenform dient bei Bulgakow als Maske für das Menschliche bzw. Dämonische (Behemoth ist Teil des Gefolges des Teufels): Als Kater kann er sich unerkannt in der Moskauer Gesellschaft der 1920er Jahre bewegen und Unheil anrichten. Wegen der dem Roman inhärenten Gesellschaftskritik wurde er erst 1966, 26 Jahre nach Bulgakows Tod, in zensierter Form erstveröffentlicht.
Eigensinn als literarisches Ideal
Schließlich wird die Katze auch immer wieder zur Projektionsfläche für Autonomie. In ihrer Weigerung, sich dressieren zu lassen, erkennen viele Autoren ein freigeistiges Ideal wieder, das auch dem Schreiben oft innewohnt: gegen Konventionen, für Selbstbestimmung.
Der japanische Autor Sōseki Natsume schrieb im Jahr 1905 den Roman „Ich, der Kater“, in dem ein namenloser Kater die Gesellschaft des frühen 19. Jahrhunderts mit scharfem Witz und satirischer Distanz beobachtet. Sein Roman ist ein Protest gegen die Schnellmodernisierung Japans – erzählt durch die Augen eines Tieres, das sich nie ganz der menschlichen Ordnung unterwirft. Der Kater, der gebildet, scharfsinnig und überlegen auftritt, entlarvt er auf ironische Weise die Eitelkeiten, Widersprüche und Doppelmoral der Menschen seiner Zeit. Sosekis Roman gilt heute als Klassiker der japanischen Literatur.
Schlussbemerkung
Katzen sind für Schriftsteller weit mehr als nur tierische Gefährten. Sie sind inspirierende Musen, Kommentatoren und Perspektivengeber. Sie verkörpern Freiheit, Nonkonformismus, Schönheit und das Geheimnisvolle – alles Eigenschaften, die Schriftsteller schätzen, suchen und in ihrer Literatur zum Ausdruck bringen.
Ob E. T. A. Hoffmanns Kater Murr, Doris Lessings autobiographische Katzen, Haruki Murakamis sprechende Katze, oder T. S. Eliots zu Musical Stars avancierte Samtpfoten – die Literatur wäre ärmer ohne die leise, schnurrende, anmutige Präsenz dieser faszinierenden Wesen.
In der Katze finden Schriftsteller nicht nur Gesellschaft, sondern eine Reflexion ihrer selbst: Unabhängig, geheimnisvoll, exzentrisch, wachsam, still – aber auch mit plötzlichen Ausbrüchen voller Energie und Kreativität. Man könnte auch sagen, die Katze verkörpert eine bestimmte Form des Denkens, das tastende, fragende, beobachtende und feinsinnige – und genau das ist der Stoff, aus dem gute Literatur gemacht ist. Denn wie es der Titel eines Buches mit Katzengeschichten der Autorin Julia Bechstein auf den Punkt bringt:
„Man kann im Leben auf vieles verzichten, aber nicht auf Katzen und Literatur.“
Julia Bechstein
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